Schöne Worte, hehre Ziele: Mit dem neuen Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV) sollten viele Dinge im Sinne des Spieler- und Jugendschutzes geregelt werden. Doch unser Faktencheck zeigt, wo sich die guten Absichten nicht einstellen oder sogar unterlaufen werden und sich Schlagworte wie „Kanalisierung“ als reine Worthülsen entpuppen.
„Ziele des Staatsvertrages sind: 1. das Entstehen von Glücksspielsucht und Wettsucht zu verhindern und die Voraussetzungen für eine wirksame Suchtbekämpfung zu schaffen …“.
Dieses Ziel wurde bereits im 1. Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV) aus dem Jahre 2008 in § 1 formuliert. Genau die gleiche Formulierung findet sich in den folgenden Staatsverträgen, die in den Jahren 2012 und 2021 in Kraft getreten sind.
Eine aktuelle Bevölkerungsumfrage aus Deutschland zeigt, dass hierzulande etwa 1,3 Millionen Betroffene mit einer glücksspielbezogenen Störung (Glücksspielsucht) leben. Hinzu kommen weitere 3,25 Millionen Betroffene mit einem riskanten Glücksspielverhalten. Darüber hinaus leiden auch Angehörige unter den Folgen der Erkrankung. Darunter befindet sich ein wesentlicher Anteil von Menschen, die eine Sportwettproblematik aufweisen, Tendenz steigend. Nicht nur Sportwetten, sondern auch die damit einhergehenden Suchtphänomene sind längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Unter den Personen, die an Sportwetten teilnehmen, haben nur knapp 50 Prozent ein vollkommen unproblematisches Spielverhalten.
Der Sportwetten-Markt wird für viele Anbieter geöffnet. Diese können Erlaubnisse für ihre Wettprodukte erhalten und dafür werben. Die Ziele des GlüStV (u.a. Jugend- und Spielerschutz, Suchtbekämpfung) sollen dennoch erreicht werden.
Die aggressive Vermarktung von Wettangeboten und das Setzen zahlreicher Spielanreize verhindern effektiven Spielerschutz. Mit den erteilten Erlaubnissen lässt sich der Widerspruch nicht auflösen, dass die Geschäftsmodelle auf Umsatzmaximierung ausgerichtet sind. Dem stehen erhebliche Einnahmeverluste, wie sie mit nachhaltigem Spielerschutz verbunden wären, entgegen. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass Glücksspielanbieter nicht zu Umsatzeinbußen zur Verhinderung und Bekämpfung von Suchtentwicklungen bereit sind. Die beste Kundschaft der Wettanbieter ist diejenige, die viel, exzessiv oder süchtig spielt.
Werbung durch erlaubte Glücksspielanbieter ist zugelassen. Sie sei auch erforderlich, um Glücksspielerinnen und Glücksspieler vom Schwarzmarkt abzuhalten („Legalisierung“).
Glücksspielanbieter stehen auch im legalen Markt miteinander im Wettbewerb. Ihr Ziel ist es daher, Kunden zu gewinnen, zu binden und Einnahmen für das eigene Unternehmen (statt für die illegale oder legale Konkurrenz) zu erzielen. Um in diesem Wettbewerb bestehen zu können, wird nach dem Prinzip „schneller, höher, weiter“ geworben – mit fast allen Mitteln und nahezu um jeden Preis.
Werbung für Sportwetten soll den „natürlichen Spieltrieb“ der Bevölkerung in geordnete und überwachte Bahnen lenken. Die Bestimmungen des Glücksspielstaatsvertrages sollen u.a. dieser „Kanalisierung“ dienen.
Ein „natürlicher Spieltrieb“ nach Glücksspielen wie Sportwetten ist wissenschaftlich nicht belegt. Die Vielzahl an Wettangeboten und dazugehörige umfassende Werbung heizen zudem die Nachfrage an. Es werden Spielanreize geschaffen, die zu einer Wettbeteiligung führen – auch durch neue Glücksspielende. Für die Erfüllung des Kanalisierungsauftrages wäre schon eine reine Informationsseite mit der Liste erlaubter Sportwettanbieter hinreichend. Wäre diese Homepage entsprechend bekannt, würde sich Werbung für einzelne Sportwettanbieter erübrigen.
Der Spielerschutz muss gestärkt werden. Daher gilt z.B. ein anbieterübergreifendes Einzahlungslimit bei Online-Glücksspielen (inklusive Online-Sportwetten) von 1.000 € im Monat.
Limits haben tatsächlich eine suchtpräventive Wirkung, vor allem, wenn sie verbindlich sind und keine größeren Spielräume zulassen. Allerdings haben nahezu alle zugelassenen Sportwettanbieter gegen diese Vorgabe geklagt – und fühlen sich bislang auch nicht an deren Umsetzung gebunden. Damit wird eine wesentliche Maßnahme zum Spielerschutz aktuell (Stand: August 2022) bewusst torpediert. Darüber hinaus bleibt festzuhalten, dass für viele Personen bereits 1.000 € Verlust pro Monat zu viel sind.
Glücksspielwerbung darf nicht den Zielen des GlüStV zuwiderlaufen. Sie darf nicht übermäßig sein oder wirksamer Suchtbekämpfung entgegenstehen.
Gerade Werbung für Sportwetten etwa im Fernsehen oder in Fußballstadien ist inzwischen allgegenwärtig. Allein im Jahr 2021 wurden in Deutschland rund 400 Millionen Euro ausgegeben, um für Sportwetten bzw. Online-Glücksspielangebote zu werben.
Erlaubte Glücksspielanbieter dürfen Sponsoring betreiben. Derartige Aktivitäten widersprechen somit nicht den Zielen des GlüStV (u.a. Jugend- und Spielerschutz sowie Suchtbekämpfung).
Die meisten Vereine aus dem Profifußball haben einen Sponsor aus der Sportwettbranche. Sport und Sportwetten werden so in eine inhaltliche Nähe gerückt. Sport wird häufig mit den Eigenschaften „gesundheitsförderlich“, „erwünscht“ und „leistungssteigernd durch Training“ verbunden. Die Darstellung von Sportwetten als weitgehend risikoloses, „normales“ Hobby fördert die Wahrnehmung einer allgegenwärtigen Freizeitbeschäftigung. Die Sportwettbranche spricht selbst davon, dass Sportwetten in der Mitte der Gesellschaft angekommen seien. Suchtgefahren rücken dabei in den Hintergrund. Doch Sportwetten sind eben keine weitere Sportart, sondern ein Glücksspiel. Übrigens sind Mitglieder von Sportvereinen besonders häufig von glücksspielbezogenen Problemen betroffen, wie Studien gezeigt haben.
Werbung für Glücksspiele darf sich nicht an Minderjährige oder vergleichbar gefährdete Zielgruppen richten.
Sportwetten-Werbung möchte durchaus derartige Personenkreise adressieren. Es ist bekannt, dass beispielsweise Menschen mit Migrationshintergrund zu den Bevölkerungsgruppen mit erhöhter Glücksspielgefährdung gehören. In Werbespots von Tipico treten so ausgerechnet junge Männer auf, die scheinbar dieser Personengruppe angehören. Tipster schaltet Werbespots hierzulande gleich in türkischer Sprache.
Minderjährige sind von der Teilnahme am Glücksspiel und nach Möglichkeit von der Werbung für Glücksspiele auszuschließen
Junge Menschen werden zunehmend mit Werbung für Sportwetten und andere Glücksspiele konfrontiert. Sportwetten werden auf diese Weise normalisiert und glorifiziert. Durch die Fülle an Werbung werden Hemmschwellen gesenkt, Spielbedürfnisse geweckt und unrealistische Gewinnerwartungen gefördert. Gerade Minderjährige sind besonders empfänglich für Werbebotschaften. Hinzu kommt, dass der Jugendschutz sowohl bei Wettangeboten vor Ort als auch im Internet bei weitem nicht lückenlos umgesetzt wird. Bekannt ist: Je früher der Erstkontakt im Lebenslauf erfolgt, desto wahrscheinlicher ist eine spätere Glücksspielproblematik. Und wenn der Lieblingsverein einen Sportwettanbieter als Sponsor hat, der auch noch auf Merchandise erscheint, laufen sogar Minderjährige damit herum.